Kleinigkeiten ganz riesig
"Wann ist man zum letzten Mal mit einem so dicken, satten Glücksgefühl aus dem Theater gekommen? Einem Glücksgefühl, dem ein anständiger Kloß im Hals beigemengt ist.
Das Stück "Goigoi" für zwei Schauspieler und einen Musiker basiert auf einem Kinderbuch von William Goldman: (...) Die Geschichte handelt von der kleinen Lea, die niemanden hat, nur ein Tuch, das Goigoi, das mit ihr spricht und sie zum Lachen bringt mit seinen Angebergeschichten aus seinem früheren Leben, in dem es der Schleier einer Prinzessin gewesen sein will und das Tuch eines Stierkämpfers. Niemand will für Lea sorgen, nachdem ihre Eltern tot sind; die Oma liebt nur den heimtückischen Kater; Tante Roswitha, Tante Alexandra und Tante Hildegard sind vollauf mit Bügeln und Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt, und eine Tante hat gar - hatschi! - eine Kinderallergie. Das rote Tuch ist wirklich alles, was das kleine Mädchen hat.
Die Handlung ist eingebunden in eine Clownsgeschichte von Herrn Fernando (Detlef Gohlke) und Frau Trotzki (Katja Rogner), die sich immer darüber aufregt, dass Herr Fernando so leicht heult. Als Gegenmaßnahme erfinden sie die Geschichte von Lea, dem Mädchen, das nie weint. Aber die Geschichte scheint sich selbständig zu machen, Lea kommt ins Kinderheim, dramatische Ereignisse wie ein Bankraub nehmen ihren Lauf, und schließlich droht alles ein schlimmes Ende zu nehmen, weil das Tuch verschwunden ist und Lea todkrank wird. (...) Doch es gibt Wunder.
Die Geschichte ist schön, aber die Regieeinfälle (Stefan Ebeling) machen sie noch schöner. Den Schauspielern wird ein hohes Maß an Präsenz und Geschmeidigkeit abverlangt. Die beiden verkörpern (...) etwa dreißig verschiedene Charaktere, die in Sekundenschnelle durch einen minimalen Requisitenwechsel realisiert werden. (...) Bewundernswert ist die Intensität, mit der die beiden jede Rolle ausfüllen. Ob Detlef Gohlke als trauriger Clown laut heulend auf seinem Koffer sitzt, ein feixender Kater, eine schusselige Kinderschwester, eine dümmliche Baronin oder ein cooler Bankräuber ist - er ist in jeder Rolle da, man nimmt ihm alles ab, geht mit und staunt. Katja Rogner steht ihm in nichts nach, sie ist eine kindliche Lea und im nächsten Moment eine verführerische Stewardess oder ein brummeliger Baron. (...)
Die Inszenierung widmete auch dem kleinsten Detail Aufmerksamkeit: hier ein Knopfdruck auf eine rote Clownsnase und der Staubsauger brummte los, dort ein ausländisches Zimmermädchen im Hotel, das simultan gedolmetscht wurde. (...) Das Tempo war enorm, ohne das sich der Eindruck von Hetze verbreitete, was auch das Verdienst von Oleg Nehls´ musikalischer Begleitung war, sein Akkordeonspiel unterstützte, gab Rhythmus und Ordnung.
Das Publikum stand völlig im Bann, der sich erst im langen Applaus am Ende zu lösen begann. Und man nahm etwas von der Verzauberung mit, zum Beispiel das Strahlen von Lea, das proportional zum Tuch gewachsen war, am Ende war das zurückgekehrte Goigoi riesig, fast so groß wie die Bühne: ein ganz und gar stimmiges Bild."rstaunlich ist die formale Strenge, die sich hinter der leichtsinnigen Inszenierung verbirgt... Dieser Sommerspaß mit Tiefgang hat alles, was großes Theater braucht: die Liebe, den Tod - und eine Moral, die ohne erhobenen Zeigefinger auskommt."
Elisabeth Richter, Potsdamer Neuste Nachrichten, 10.05.2003
"(...) Zwei starke Schauspieler (Katja Rogner und Detlef Gohlke), die in Dutzende Rollen schlüpfen, ein Minimum an Requisiten und ein Akkordeonist (Oleg Nehls) mit einem Maximum an Atmosphäre in den Tasten - mehr braucht es in Stefan Ebelings Inszenierung von William Goldmans "Goigoi" nicht. Das Ergebnis ist zum Schreien komisch, zu Tränen rührend, sehr poetisch."
Hendrik Pupat, Leipziger Volkszeitung, 20.12.2003
"Dass man mit klassischem Clownstheater mindestens ebenso viel Unterhaltung auf die Bühne bringen kann, bewies "Goigoi" aus Potsdam: Herr Fernando und Frau Trotzki mit roter Nase, ein Akkordeonspieler, der zwischendurch auch als Staubsauger und Bankkassier dient, ein rotes Tuch - mehr braucht es nicht für die emotionsgeladene Geschichte von Lea, dem Mädchen ohne Eltern, das nie weint. Lea ist so tapfer, weil sie Goigoi, das rote Tuch, hat. Es kann sprechen, erzählt von früheren Jobs als fliegender Teppich und Prinzessinnenschleier, und gluckst, wenn Lea es knuddelt. Katja Rogner und Detlef Gohlke als Clowns wechseln fliegend die Rollen, spielen mit einer irrwitzigen Variationsbreite an Mimik und Körpersprache. (...)"
Nürnberger Nachrichten, 16.02.2004
"Auch "Goigoi" steuert mit seinem Clownsstück ins rote- Nasen- Milieu und zapft aus Situations- Slapstick Tramp- Triebkraft, um den Irrflug der einsamen Lea und ihres sprechenden Knuddeltuchs Goigoi (Kinder können schließlich auch sprechen) nicht der Anziehungskraft der Schwermut auszusetzen. (...)"
Nürnberger Abendzeitung, 14. / 15.02.2004