Rauschhafter Abend
Packende Inszenierung mit Andreas Guglielmetti wirft Schlaglichter auf das Leben von Paul Cézanne
Es handelt sich um ein packendes Biographie-Theater, das Schlaglichter auf Cézannes Leben wirft, oft starke Bilder findet, treffende Stimmungen erzeugt und noch in der minimalistisch-ätherischen Musik das Ringen des Malers um "reines Sehen" ausdrückt. Der Anfang nimmt das Ende vorweg: Cézanne, wie alle weiteren Figuren verkörpert durch Andreas Guglielmetti, hinkt auf die Bühne, schwarzer Boden, schwarzer Hintergrund, schwarzer Vorhang, davor ein Tisch, ein Hocker und, verstreut, viele Hüte – der Vater war Huthändler (und Bankier). "Was für ein Tag ist heute?", fragt der Maler und schiebt gleich nach: "Spielt es eine Rolle?" Führte er Tagebuchm schriebe er: "Will nicht mehr leben!" Hier wird freilich mächtig Klischee bedient – was wäre der Künstler ohne Schmerz!
Jäh der Bruch, den die nächste Figur bringt. Guglielmetti hat sich eine wilde Perücke übergezogen, ruft "Geil, ne!" und referiert über "emotionales Sehen" und die sich selbst erklärende Schönheit der Schöpfung. Hätte sich eine Frau aus dem Publikum auf die Bühne gestellt und ausgezogen, er hätte dafür den Abend abgeblasen. Es fand sich keine. Also Bühne wieder frei für Cézanne. Äpfel positionieren, Tischdecke drapieren, einen Krug hinzu: Stillleben. Ablehnung durch die Auswahlkommission in Paris, Wutanfall. Zeichensitzung mit seiner Gattin Hortense, Streit. Guglielmetti spielt erst die Frau, der komischste Augenblick des Abends, dann den Maler. [...] "Die Melancholie des Berges am Abend", inszeniert von Christiane Hercher, bietet rauschhaftes, assoziatives Theater. Am Ende geht einem dieser Cézanne, einer der Väter der Moderne, verdammt nah. Guglielmetti leistet ganze Arbeit.
Hendrik Pupat, Leipziger Volkszeitung, 14./15.4.07
Der Hass auf die schöne Illusion
TheaterschaffT Leipzig mit einem Stück über Paul Cézanne zum Off 07
Auf dem Theater tummeln sie sich ja - die stets von Zweifeln geplagten Künstler. Paul Cézanne hielt es freilich eher mit der Malerei, was die TheaterschaffT Leipzig jedoch nicht davon abhielt, ein Stück über "Das Leben Paul Cézannes und die Revolution des Sehens" zu entwerfen: "Die Melancholie des Berges am Abend". Da darf einem vorab ruhig ein wenig bange sein, welch trockener Kunstgeschichte-Keks da nun wieder zum Tee serviert wird - völlig unbegründet, wie sich am Sonntagabend des Dresdner Theatertreffens Off 07 im projekttheater herausstellte. "Meine Methode ist der Hass gegen das Phantasiegebilde", hat Cézannes seinen Kritikern einmal entgegnet, ein Statement, das Regisseurin Christiane Hercher als gewichtiger Teil der Grundlage des Stückes gedient haben könnte. Darsteller Andreas Guglielmetti zerreißt sich in diesem Ein-Mann-Stück nicht nur als Cézanne selbst reichlich das Maul über seine Neider und jene, die jene Bilder mögen, auf denen sie sehen, was sie sehen wollen; ebenso wie über die Angewohnheit, alles sofort wertend und genau umrahmt beim Namen nennen zu können.
Guglielmetti changiert gekonnt und beinahe nahtlos zwischen der Rolle des Malers, damaligen Zeitgenossen, die den "Schmutz in der Farbe" nicht vertragen und gibt sogar Cézannes Frau Hortense Fiquet, die als plapperndes Modell dem Meister die Nerven raubt. Beachtlich ist dabei die Gratwanderung des Spiels: Durchaus unterhaltsam, manchmal auch entsprechend grob, drängt sich andererseits nie ein Klamauk in den Vordergrund, wird nichts wirklich ins Lächerliche gezogen, ganz im Gegenteil: Viele stille Momente packen Cézannes Ausdruck und Vermächtnis feinfühlig simplifiziert an der Wurzel; lediglich eine unkitschigverträumte Klanglandschaft hilft etwas nach - immer dann, wenn im gedimmten Licht nur noch der Tisch im kargen Bühnenbild zu sehen ist, die mit Nägeln darauf befestigten Äpfel und die Vase, ein sich durch das ganze Stück erhaltender Bezug zum Bild "Le vase paille" (um 1895).
Schließlich nähert man sich beinahe unbemerkt dem liebsten Objekt Cézannes, dem - Berg. Doch die Melancholie des Betrachters währt für den Zuschauer nicht lange - Guglielmetti fuhrwerkt mit losen Phrasen in der Rolle des dozentenhaften Kunstenthusiasten in die Stille hinein. Das Blau links unten! Sehen Sie! Das Blau links unten! Gefolgt vom deutlichen Seitenhieb auf den von immenser Kommerzialität aufgefressenen Kunstmarkt - Guglielmetti ist der Vertreter einer großen Automarke, die eine entsprechende Ausstellung präsentiert. Man kennt das Gelaber. Nicht viel übrig also von Cézanne jenseits gut betuchter Foyers, die sich mit farblicher Extravaganz bekleckern wollen? Dieses Stück spricht in seiner wahren und drängenden Simplizität dagegen. Und unterhält obendrein, was nicht zuletzt an der Methode der TheaterschaffT einem offenen Ensemble, das 1992 von den Leipziger Schauspielstudenten Jan Jochymski und Stefan Eberling gegründet wurde, liegen dürfte, Stücke zu entwerfen: Das Gros entsteht hier für gewöhnlich im Probenprozess und aus literarischen Vorlagen, die dann durch die Improvisation der Darsteller zum eigentlichen Text umgeformt werden. Der aktuelle Bezug ist somit immer fast automatisch zum Greifen nahe.
Norbert Seidel, Dresdner Neueste Nachrichten, 12.6.07
Guglielmetti zeigt einen Mann auf der Suche nach dem Abbilden von Wahrnehmung, und er zeigt zugleich Menschen auf der Suche nach einem Verstehen jenes Mannes, der als Besessener, Einsamer und Stiller galt – kein langer Maler-Monolog, der trocken philosophiert. [...] Dank Guglielmettis vielseitiger Spielfreude entwickelt sich ein lebendiger Theaterabend, der spannungsreich zwischen Heiterkeit und Melancholie changiert. Mit kleinen Gesten oder Kostümanpassungen wechselt Guglielmetti flugs die Identitäten – ist Bewunderer und Neider, Ehefrau und Vater, Galeriebesucher von damals und Kunstfan von heute. Liebevoll arrangiert Guglielmetti als Cézanne ein Stillleben mit weißem Tischtuch, Krug und Äpfeln – ein berühmtes Motiv, das der Künstler zahllos variiert hat. Später fungiert das Tuch als Bettdecke oder als Leinwand, auf der sich per Projektion ein Cézanne-Gemälde des Mont Sainte-Victoire Farbstufe für Farbstufe fast unmerklich entwickelt. "Das ganze Wollen des Malers muss schweigen", ist von Cézanne überliefert. In dieser Szene entwickelt sich eine spürbare Poesie des Schauens, Schweigens und Staunens ob der Entstehung eines Gemäldes.
Bettina Lober, Haller Tagblatt, 5.7.2007